Die Schatten von Edinburgh by Muriel Oscar

Die Schatten von Edinburgh by Muriel Oscar

Autor:Muriel, Oscar
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: d-Goldmann TB
veröffentlicht: 2017-01-16T00:00:00+00:00


19

»Glauben Sie wirklich, Joe Fiddler könnte es getan haben?«, stieß Nine-Nails hervor, während wir zum Moray Place zurückkehrten.

»Nicht wirklich«, sagte ich, »doch man sollte erst mal jeden im Verdacht haben.«

»Trotz des Piratenbeins, das der Bursche hat? Und da behaupten Sie, ich sei verrückt!«

Kaum aus der Kutsche gestiegen hüllte ich mich warm in meinem Mantel ein, denn es war bereits dunkel, und die Temperatur war gefallen. Es war Mitte November, und die Tage wurden jetzt rasch kürzer.

Bevor wir den Eingang erreichten, stürmte George mit vor Wut hochrotem Kopf durch die Hintertür nach draußen.

»Sir! Kommen Sie herein! Sehen Sie, was dieses verrückte alte Weibsbild im Haus angerichtet hat!«

Zutiefst frustriert senkte ich den Kopf, und im nächsten Augenblick betraten wir einen Ort, der, wie soll ich sagen, in keiner Weise mehr so aussah wie das Haus, das wir am Morgen verlassen hatten.

Der Berg von Kisten war aus dem Flur verschwunden; der Teppich war geschrubbt worden und offenbarte nun, dass unter seiner ehemaligen Staubschicht ein Persermuster verborgen gewesen war; Möbel und die Eichenvertäfelung an den Wänden waren poliert worden, und der Kronleuchter beleuchtete dies alles mit einem vollkommen neuen Satz Kerzen.

Joan selbst hingegen sah so aus, als habe sie alle Schmuddeligkeit des Ortes absorbiert: Ihre Schürze war fleckig und fettig, ihr Kleidersaum an mehreren Stellen zerrissen, ihr Haar ein einziges Durcheinander, und auf ihrem geröteten Gesicht standen Schweißperlen. Doch als sie uns eintreten sah, grinste sie stolz.

»Gefällt es Ihnen, Sir?«

»Gelinde gesagt, ja!«, erwiderte ich, bemüht, mein echtes und vollkommenes Vergnügen einzudämmen. »Haben Sie das alles ganz allein hinbekommen?«

»Nein! Sie hat sich von einer ganzen Armee schmuddeliger Bälger helfen lassen!«, rief George.

»Du hast doch wohl nicht erwartet, dass ich jahrelang angesammelten Schmutz ganz im Alleingang wegschaffe, oder? Oh, und ich habe auch Geld für neue Töpfe ausgegeben. Ich wollte das Abendessen für meinen Herrn nicht in einem dieser verbeulten Spucknäpfe kochen, die es hier nur gab!«

»Abendessen!«, rief McGray begeistert und betrat den Essensraum, wo uns ein dampfender Rindfleischeintopf erwartete. Kaum dass ich ihn roch, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Nachdem wir den ganzen Tag in den eisigen Straßen unterwegs gewesen waren, war ein kräftiges, heißes Stew genau das, was wir brauchten.

McGray machte sich mit größtem Vergnügen über das Essen her (vermutlich hatte er schon seit Jahren keine anständige hausgemachte Mahlzeit mehr vorgesetzt bekommen). Wenig später schmatzte er und stieß einen zufriedenen Rülpser aus.

»Frey, Sie werde ich nicht vermissen, wenn der Fall gelöst ist; Ihre Dienstmagd aber sehr wohl.«

George grummelte vor sich hin, worauf McGray ihm liebevoll den Rücken tätschelte. »Kommen Sie, George, seien Sie nicht eifersüchtig! Im Gegenteil, diese Frau verschafft Ihnen mehr Freizeit.«

Nine-Nails stieß erneut auf, und sein Rülpser verschmolz mit den Worten, die er folgen ließ. »Kommen Sie, Mädel, wir haben noch eine Menge zu besprechen.«

Joan und George räumten hinter uns den Tisch ab. Dabei stritt sich das Pärchen und fauchte sich zornig an. Unter anderem drangen die Worte »Du fette Kuh« und »Du altes Wrack« an mein Ohr.

Ich gesellte mich zu McGray an den großen Kamin in seinem unordentlichen Bibliothekszimmer. Dort beugte er sich über seinen kleinen Tisch, wo nach wie vor Carolis aufgeschlagene Partitur lag.



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